Nachbarstreitigkeiten im öffentlichen Baurecht spielen in der Alltagspraxis eine große Rolle.
Bauvorhaben müssen sowohl nach dem Bauplanungsrecht als auch nach dem Bauordnungsrecht zulässig sein. Doch nicht jede Norm aus dem Bauplanungs- und Bauordnungsrecht hat eine sogenannte „drittschützende Wirkung“, so dass ein Verstoß gegen die Norm Rechte des Nachbarn gegenüber dem Bauherrn auslösen kann.
I. Bauplanungsrecht
Drittschützende Normen, deren Verletzung einen Nachbarschutz auslösen kann, ergeben sich im Bauplanungsrecht nur aus gesetzlich fixierten Positionen, die gesetzlich geschützt sind. Dabei steht das Gebot der Rücksichtnahme im Mittelpunkt der Betrachtung. Dessen Ausprägung unterscheidet sich danach, ob im Geltungsbereich von Bebauungsplänen oder im unbeplanten Innen- oder Außenbereichen gehandelt wird.
Das Gebot der Rücksichtnahme gebietet nicht schon, dass das Bauvorhaben objektiv-rechtlich zulässig ist. Vielmehr muss der Nachbar eine rücksichtnahmebedürftige Position aufzeigen. In diesem Zusammenhang kann eine Wertminderung des Grundstücks des Nachbarn oder ein Verzicht des Nachbarn auf Abwehrrecht im Einzelfall von Bedeutung sein.
Werden landesrechtlich vorgegebene Abstandsflächen eingehalten, ist im Hinblick auf diesen Belang ein Nachbarschutz unter dem Blickwinkel „Verletzung des Rücksichtnahmege¬botes“ nur im Ausnahmefall möglich – wenn von dem Bauvorhaben eine „erdrückende Wirkung“ ausgeht.
Spezialgesetzliche Regelungen des Rücksichtnahmegebotes enthalten § 5 Abs. 1 Nr. 1 und § 22 BImschG.
1. Nachbarschutz im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes
Es ist zu unterscheiden, ob in dem Geltungsbereich des Bebauungsplanes ein Verstoß gegen die Art der Nutzung, gegen eine nachbarschützende Festsetzung des Plans oder gegen eine nicht nachbarschützende Festsetzung des Bebauungsplans erfolgt.
a) Gebietsgewährleistungsanspruch
Die Gebietsfestsetzung ist grundsätzlich nachbarschützend. Im Ergebnis würde eine nicht nachbarschützende Gebietsfestsetzung gegen das Abwägungsverbot gemäß § 1 Abs. 6 BauGB verstoßen.
So hat der Eigentümer eines Grundstücks, für das der Bebauungsplan ein Gewerbegebiet festsetzt, einen Abwehranspruch gegen die Genehmigung eines nur in einem Industriegebiet zulässigen Gewerbegebietes. Diesen Gebietsgewährleistungsanspruch hat ein „Außenstehender“, außerhalb des Plangebietes ansässiger Eigentümer, in der Regel nicht.
b) nachbarschützende Festsetzungen eines Bebauungsplanes
Nicht jede Festsetzung durch den Bebauungsplan hat eine drittschützende – den Nachbarn schützende – Zielrichtung. Im Einzelfall ist aus Inhalt und Natur der Festsetzung, der Begründung oder auch anderen Unterlagen zu ermitteln, ob die Festsetzung dem Nachbarschutz dienen soll.
Ist die Festsetzung in dem Bebauungsplan nachbarschützend, kann keine rechtmäßige Befreiung erteilt werden. Ist die Festsetzung nicht nachbarschützend, muss aber noch geprüft werden, ob das Gebot der Rücksichtnahme verletzt ist oder nicht. Eine von den Festsetzungen abweichende Befreiung kann nur ausnahmsweise nach § 31 Abs. 2 BauGB zulässig sein.
2. Nachbarschutz noch während der Planaufstellung
Naturgemäß ist die Nachbarklage gegen eine Baugenehmigung auch schon während der Planaufstellung zulässig. Hier muss ebenso eine nachbarschützende Norm durch die Baugenehmigung verletzt sein. Auf Festsetzungen des Bebauungsplanes kann sich weder der Nachbar noch der Bauherr berufen.
3. Nachbarschutz im unbeplanten Innenbereich
Es gelten für den unbeplanten Innenbereich oben die Ausführungen zu dem Rücksichtnahmegebot.
Ein Gebietsgewährleistungsanspruch kann naturgemäß erst in Betracht kommen, wenn ein „faktisches Baugebiet“ gemäß § 34 BauGB besteht.
4. Nachbarschutz im Außenbereich
Auch im Außenbereich sind die Grundsätze des Rücksichtnahmegebotes – allerdings in einer anderen Ausprägung – zu beachten. Einen „Gebietsgewährleistungsanspruch“ gibt es hier nicht.
Nur in seltenen Ausnahmefällen kann ein Anspruch auf eine Bauleitplanung gemäß § 1 Abs. 3 BauGB bestehen.
Eine Rücksichtnahmepflicht kann in Ausnahmefällen auch von landwirtschaftlichen Betrieben gegenüber heranrückender Bebauung geltend gemacht werden.
II. Bauordnungsrecht
Bauordnungsrechtliche Vorschriften können ebenfalls drittschützende Wirkung haben.
Bauordnungsrechtliche Vorschriften, die einen Nachbarschutz entfalten können, ergeben sich insbesondere aus Regelungen zu den Abstandsflächen, Regelungen zur Veränderung der Geländeoberfläche, Brandschutzbestimmungen etc.
Thomas Mendel meint
Immer wieder gibt es Nachbarschaftsstreit mit ein und demselben Nachbarn. Man hat dann ja die Möglichkeit, Vergehen dem Ordnungsamt zu melden. Dieses scheint aber oft nicht die Entscheidungen zu treffen, die sinnvoll sind. Darum fragt man sich so manches Mal, ob der Gang zu einer Rechtsberatung nicht eine Alternative wäre.
Julia Schwarzmann meint
Die ganze Gemeinde ist gegen den Bau von einer neuen Müllverbrennungsanlage einig. Wir machen uns Sorgen für den Einfluss von Abgase und Stäube auf unsere Gesundheit. Wir werden uns an einen Fachanwalt für Baurecht wenden, um eine Nachbarklage zu erstellen. Vielen Dank für den interessanten Beitrag.