Das Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) regelt die Einreise und den Aufenthalt von Staatsangehörigen anderer Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (Unionsbürger) und ihrer Familienangehörigen, § 1 FreizügG/EU. Die Norm beschreibt den Anwendungsbereich des Gesetzes, mit dem eine vom allgemeinen Ausländerrecht weitestgehend losgelöste Regelung des Aufenthaltsrecht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen erreicht wird.
Jeder Unionsbürger hat das Recht, sich im Unionsgebiet vorbehaltlich primär rechtlich vorgeschriebener Beschränkungen frei zu bewegen und aufzuhalten, Art. 21 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Dieses Recht wird durch eine Richtlinie ausgestaltet und durch das Freizügigkeitsgesetz umgesetzt. Das Aufenthaltsgesetz findet auf die Freizügigkeitsberechtigten mit Ausnahme der in § 11 Abs. 1 FreizügG/EU bezeichneten Verweisungen keine Anwendung.
1. Bescheinigung über die Freizügigkeit und die Aufenthaltskarte
Der Nachweis der Freizügigkeitsberechtigung erfolgt über eine Bescheinigung bzw. bei Familienangehörigen von Unionsbürgern, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Union besitzen, durch eine Aufenthaltskarte, § 5 FreizügG/EU.
Wer freizügigkeitsberechtigten ist, hat gemäß § 2 Abs. 1 des FreizügG/EU Anspruch auf Einreise und Aufenthalt nach Maßgabe des Freizügigkeitsgesetzes. Die freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger werden in § 2 Abs. 2 FreizügG/EU aufgezählt. Hierzu gehören insbesondere Arbeitnehmer, Arbeitssuchende und selbstständig Erwerbstätige, vergleiche Nrn. § 2 Abs. 2 Nrn. 1, 1 a, 2 FreizügG/EU). Familienangehörige der in § 2 Abs. 2 Nummer 1-5 FreizügG/EU genannten Unionsbürger haben ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht, § 3 Abs. 1, 4 FreizügG/EU.
2. Dauer des Aufenhaltsrechts
Die Dauer des Aufenthaltsrechts der Arbeitnehmer und der selbstständig Erwerbstätigen ist jedenfalls so lange unbeschränkt, solange sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen, § 4 FreizügG/EU.
Zur Arbeitssuche selbst dürfen sich Unionsbürger für sechs Monate im Bundesgebiet aufhalten bzw. solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussichten haben, eingestellt zu werden und sofern auch bei ihnen ausreichender Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel zur Verfügung steht, § 2 Abs. 2 Nr. 1 a FreizügG/EU.
Ein Daueraufenthaltsrechts entsteht gemäß § 4 a FreizügG/EU für Unionsbürger, die sich fünf Jahre lang rechtmäßig ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben.
3. Ausreichende Existenzmittel
Insbesondere die „ausreichenden Existenzmittel“ im Sinne des § 4 FreizügG/EU regeln die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Aufenthaltsrechts. Sowohl Arbeitnehmer als auch Selbstständige müssen nicht nachweisen, dass sie über ausreichende Existenzmittel verfügen, sondern lediglich, dass sie die Arbeitnehmereigenschaft oder die Voraussetzungen der Niederlassungsfreiheit erfüllen.
a) Sozialhilfebezug durch Arbeitnehmer
Grundsätzlich darf ein Unionsbürger, der in das Bundesgebiet eingereist ist, um Arbeit zu suchen, nicht ausgewiesen werden, solange er nachweist, dass er weiterhin Arbeit sucht und eine begründete Aussicht hat, eingestellt zu werden, § 2 Abs. 2 Nummer 1 a FreizügG/EU. Bei vorübergehender Erwerbsminderung infolge Krankheit oder Unfall bleibt das Aufenthaltsrecht ebenso unberührt wie nach mehr als einem Jahr Tätigkeit bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit infolge nicht zu vertretender Umstände.
Allerdings begründet auch die Teilzeitbeschäftigung die Arbeitnehmereigenschaft. Dies gilt sogar, wenn die Teilzeitbeschäftigung lediglich zu Einkünften unterhalb des Existenzminimums führt. Es muss lediglich in objektiver Hinsicht ein Arbeitsverhältnis bestehen. Es genügt eine reguläre Tätigkeit von lediglich 20 Wochenstunden, 10 Wochenstunden oder 20 Stunden monatlich (vgl. dazu unter anderem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 4. Februar 2010, C- 14/09, Rdnr. 25):
Der Gerichtshof hat entschieden, dass die Tatsache, dass das Einkommen des Arbeitnehmers nicht seinen ganzen Lebensunterhalt deckt, ihm nicht die Eigenschaft eines Erwerbstätigen nimmt und dass der Umstand, dass die Bezahlung einer Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis unter dem Existenzminimum liegt oder die normale Arbeitszeit selbst zehn Stunden pro Woche nicht übersteigt, nicht hindert, die Person, die diese Tätigkeit ausübt, als Arbeitnehmer im Sinne des Art. 39 EG anzusehen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Juli 2007, Geven, C 213/05, Slg. 2007, I 6347, Randnr. 27, sowie Megner und Scheffel, Randnr. 18).
Abzugrenzen ist die Arbeitnehmereigenschaft lediglich von „Scheinarbeitsverhältnissen“. Scheinarbeitsverhältnisse sind diejenigen Tätigkeiten, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. So hat zum Beispiel das Sächsische Oberverwaltungsgericht in einer Entscheidung festgestellt, dass jedenfalls ein im Rahmen eines Minijobs erzielter Verdienst in Höhe von 30 – 40 € monatlich eine Arbeitnehmereigenschaft nicht mehr zu begründen vermag (vergleiche Beschluss des OVG Sachsen vom 2. Februar 2016,3 L 587/15, Rdnr. 6).
b) Sozialhilfebezug durch Selbstständige
Das zuvor Ausgeführte gilt sinngemäß auch für Selbstständige Sinne von § 2 Abs. 2 Nummer 2 FreizügG/EU.
4. Feststellung des Nichtbestehens des Freizügigkeitsrechts gemäß § 5 Abs. 4 Freizügigkeitsgesetzes
Sind die Voraussetzungen des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU innerhalb von fünf Jahren nach Begründung des ständigen rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet entfallen oder liegen diese nicht vor, kann der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt und bei Familienangehörigen, die nicht Unionsbürger sind, die Aufenthaltskarte eingezogen werden, § 5 Abs. 4 S. 1 FreizügG/EU. Ein Anlass zu einer derartigen Entscheidung besteht aber nur bei „begründeten Zweifeln“, ob die Voraussetzungen des Aufenthaltsrechts noch bestehen. Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII in Anspruch genommen werden oder wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass über Freizügigkeitsgründe Umstände getäuscht wurde.
Mit dem Erwerb des Daueraufenthaltsrechts gemäß § 4 a FreizügigG/EU entfällt die Möglichkeit der Feststellung des Nichtbestehens des Freizügigkeitsrechts.
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