1. Die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (im Folgenden: BRK)
In der Behindertenrechtskonvention wird der Integrationsansatz durch den Inklusionsansatz ersetzt: Es kommt nicht mehr darauf an, ob der Schüler den Anforderungen des jeweiligen Bildungsgangs gewachsen ist. Die Schule soll sich vielmehr den Bedürfnissen und Fähigkeiten des behinderten Schülers anpassen.
Art. 24 BRK verpflichtet die Länder, den Rahmen für einen inklusiven Unterricht behinderter Schüler zu schaffen. Unmittelbare Rechtsansprüche ergeben sich aus Art. 24 BRK allerdings nicht. Die Entscheidung, ob ihre Kinder eine allgemeine oder eine Förderschule besuchen, muss aber grundsätzlich den Eltern vorbehalten sein. Die Länder und die Kommunen sind dazu verpflichtet, die entsprechenden Angebote zu schaffen (Lehrkräfte sonderpädagogisch auszubilden, barrierefreie Schulen zu schaffen etc.). Dabei steht es aber den Ländern und Kommunen keineswegs frei, die Voraussetzungen für den inklusiven Unterricht derart hoch anzusetzen, dass sie in der Praxis nicht mehr erfüllt werden können.
Nordrhein-Westfalen versucht zurzeit, mit einem Gesetzentwurf die BRK umzusetzen.
2. Der Behindertenbegriff
Im Zusammenhang mit dem Begriff der Inklusion nach der BRK ist zu beachten, dass der Begriff der Behinderung in § 2 Abs. 1 SGB IX definiert wird. Demzufolge sind Menschen behindert, wenn ihre geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist, § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX (vgl. dazu auch „Die Definition der Behinderung gemäß § 2 Abs. 1 SGB IX“).
Bei der Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs in Nordrhein-Westfalen wird der Begriff der Behinderung ebenfalls in § 4 der Verordnung über die sonderpädagogische Förderung, den Hausunterricht und die Schule für Kranke Verordnung über die sonderpädagogische Förderung, den Hausunterricht und die Schule für Kranke benannt (im Folgenden AO-SF). Inwiefern die Begriffe der Behinderung gemäß dem SGB IV und der AO-SF übereinstimmen, vermag ich hier nicht zu bestimmen.
3. Sonderpädagogischer Förderbedarf
Ein Sonderpädagogischer Förderbedarf kann zwar auf eine Behinderung zurückzuführen sein. Allerdings haben keineswegs alle Schüler, die körperlich behindert sind, sonderpädagogischen Förderbedarf. Oft können körperlich behinderte Schüler ohne weiteres am Unterricht in den Regelschulen teilnehmen. Umgekehrt leiden bei Weitem nicht alle Schüler, die sonderpädagogischen Förderbedarf haben an einer Behinderung im Sinne des § 2 Abs. 1 SGB IX.
Das Verfahren zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs ist in Nordrhein-Westfalen in der oben genannten AO-SF geregelt. Ob und wie sich das Verfahren zur Bestimmung des sonderpädagogischen Förderbedarfs durch die BRK ändern wird, bleibt abzuwarten. Jedenfalls wird das Recht der Eltern auf Bestimmung, ob ihre Kinder eine Förderschule besuchen werden, vermutlich erheblich gestärkt werden.
4. Überprüfbarkeit von Entscheidungen zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs
Die Entscheidung über die Einweisung in eine Förderschule kann grundsätzlich umfassend von den Verwaltungsgerichten überprüft werden.
Viele Eltern werden die Inklusion und die Verlagerung des Unterrichts der bisherigen Förderschulen an die Regelschulen begrüßen. Abschlusszeugnisse der Förderschulen werden nämlich – manchmal zu Unrecht – als minderwertig angesehen. Oft ist ein Wechsel an die Regelschule selten. Andere Eltern – z. B. die Eltern von Kindern mit einer Sprachbehinderung – kämpfen hingegen um den Erhalt der Förderschulen. Hier wird durch Unterstützungs- und Hilfsmaßnahmen der Wechsel an die Regelschule sehr oft erreicht. Die Eltern von Kindern an der Förderschule sehen daher in der Inklusion eher eine Gefahr.
5. Besondere Problemstellungen bei der Umsetzung der BRK
Bei der Umsetzung der Behindertenrechtskonvention treten besondere Probleme unter anderem deshalb auf, weil die sonderpädagogisch Förderung eventuell teure Leistungen umfasst, die zurzeit auf der Grundlage des SGB VIII und XII erbracht werden. Weiterhin kommt eine Hilfsmittelversorgung durch die Krankenkassen gemäß dem SGB V in Betracht.
Schließlich muss sich das Land gegen Widerstände in den Kommunen durchsetzen, die die Schulen als Schulträger jetzt barrierefrei gestalten müssen.
Es bleibt abzuwarten, ob und inwieweit die verschiedenen Leistungsträger bereit und willig sind, die entstehenden Probleme nicht auf dem Rücken der Schüler auszutragen. „Politische Grundsatzdiskussionen“ sollten meines Erachtens jedenfalls auf dem Gebiet der Inklusion möglichst vermieden werden.
Burghard Schmanck meint
Sehr geehrter Herr Nippel!
Ihnen empfehle ich, die entsprechende Menschenrechtskonvention mal selbst zu lesen. In dem gesamten Artikel kommt nämlich das Wort „Inklusion“ kein einziges Mal vor. Die maßgebende englische Fassung verlangt in Absatz 1 nur „an inclusive education system“. Genau diese Anforderung erfüllt das deutsche Bildungssystem mit seinen auf die besonderen Bedürfnisse Behinderter abgestimmten Angeboten geradezu beispielhaft. Mit der Forderung nach einer „erfolgreichen Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention“ läßt sich daher in Deutschland keine diesbezügliche Verwendung von Steuergeldern rechtfertigen.